Neue Klanghorizonte

CHRISTA KANAND

Erstmals in Deutschland: Das umjubelte Tokyo Kosei Wind Orchestra unter dem Dirigenten Douglas Bostock sparte im voll besetzten Congress Centrum nicht mit Zugaben. Ein Konzert der Sonderklasse.

Japan? Fujiyama, Kirschblüten, Sushi, Toyota. Was würde den mehr als 1300 Besuchern im voll besetzten Ulmer Congress Centrum, darunter die junge Blasmusik-Szene der Region und etliche Dirigenten, noch einfallen zum Land der aufgehenden Sonne und des Lächelns? Ab sofort: das Tokyo Kosei Wind Orchestra, das als eines der besten Orchester für sinfonische Blasmusik weltweit gilt. Die rund 55 befrackten Musiker gastierten auf ihrer Tournee zum 50-jährigen Bestehen des Orchesters erstmals in Ulm. Und zwar Dank des Sinfonischen Blasorchesters Ulm (SBU) und dessen Dirigenten Douglas Bostock.

Der renommierte Brite, der am Bodensee lebt, ist seit 1996 Dirigent des SBU, aber auch Erster Gastdirigent des Tokyo Kosei Wind Orchestra. Aus Fernost brachte er oft japanische Werke für das Sinfonische Blasorchester Ulm mit. Nun das ganze Orchester. Echte Hochkaräter. Mit im Gepäck: zwei deutsche Erstaufführungen, vier Zugaben und viele Überraschungen.

Für Bostock war es quasi ein Heimspiel. Dieser charismatische Dirigent ist ein Zauberer mit straffem Taktstock, ein Rattenfänger, der mitreißende Lust an der Musik ausstrahlt, mal auch zum Publikum spricht. Sein japanisches Orchester mit Solisten der Spitzenliga konzertierte in Top-Form. Es kam, sah und siegte. Fast. Denn zunächst gab es mit Václav Nelhýbels "Symphonic Movement" gehörig was auf die Ohren. Zwischen haarigen Rhythmuswechseln hämmerte, pochte, klimperte und dröhnte die perfekte Klangmaschinerie.

Große musikalische Offenheit zur Neuen Musik, zu mystischen Klangwelten, Gelegenheit zu breit gespannter Dynamik und Virtuosität charakterisierten Werke von Alfred Reed und Kiyoshige Koyama. Neue Klanghorizonte mit japanisch-spirituellem Kolorit, Jazz-Prisen, Esprit, Witz und höchst farbigen Perkussionisten-Akzenten eröffnete Piet Swerts "Uzumes Dance", eine Auftragskomposition von Konzertmeister Nobuya Sugawa, der als Ausnahme-Saxophonist brillierte. Ein kleiner Mann mit unendlichem Atem in der Solokadenz und großem Ton: faszinierend, samtdunkel, warm wie Honig. Ovationen - auch für den anwesenden belgischen Komponisten. Und Sugawa dankte mit einer Zugabe im Saxophon-Quartett: Romantik pur, der reinste Seelenbalsam.

Hinter jedem Takt lauerten bei der deutschen Erstaufführung von Isao Matsushitas Ballet-Suite "Ama-no-Iwato" Überraschungen, inklusive Körper-Perkussion im Tutti mit Schenkel-Klopfern und Hahaha-Gelächter. Beifallstürme nach Stücken von Jonathan Newman und Philip Sparkes Tonmalerei "Music of the Spheres", die zwischen Träumerei, kosmischen Klängen und triumphierender Final-Hatz changierte. Weshalb die Japaner dann nicht mit Zugaben geizten und vier volkstümliche Stücke spielten, darunter Yasuhide Itos "Nippon Hey!", eine fetzige deutsche Erstaufführung, und Philip Sparkes "March Florentine", bei dem Douglas Bostock das mitklatschende Publikum dirigierte.
29.09.2010 · Südwest Presse (http://www.swp.de)
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